Gerade als ich das Schließfach abschließe, das das nächste halbe Jahr mir gehören wird, läutet es. Schnell krame ich meinen Stundenplan aus der Tasche, dort steht, dass ich als nächstes Fach Mathematik bei Herrn Balduin im Saal B.23 habe. Ich habe keinen blassen Schimmer wo sich dieser Saal befindet und als ich mich umschaue sind schon keine Schüler mehr auf dem Gang, die ich danach fragen könnte. Mir bleibt nichts anderes übrig als die drei Stockwerke abzuklappern und die Nummern an jeder einzelnen Tür abzulesen. Ich verfluche es mitten im Jahr die Schule wechseln zu müssen.
Mit langen Schritten eile ich an den Sälen vorbei, hinter denen Schüler ihre Köpfe anstrengen, und biege um die erste Ecke. Ich bin so damit beschäftigt meinen Klassenraum zu finden und mir die Bezeichnungen der Türen anzuschauen, dass ich nicht bemerke wie mir ein Paar knallrote Dr. Martens entgegenkommen.
Der Zusammenstoß reißt mich von den Füßen.
Auch die Dr. Martens stolpern zurück.
Erstmals betrachte ich die Person die zu den Schuhen gehört. Es ist ein Junge, er ist ein bisschen älter als ich. Er ist ganz in Schwarz gekleidet, auf seinem Kapuzenpulli steht in dicken Buchstaben NIGHTWISH geschrieben.
Benommen ergreife ich die Hand, welche er mir hinstreckt. „Bist wohl neu hier, was?“, fragt er mit rauer Stimme.
Verdutzt starre ich ihn an: „Woher weißt du das?“
„Ich würde es wissen, wenn ich dich schon mal gesehen hätte“, antwortet er knapp.
Ich spüre wie mir Wärme in die Wange steigt und hoffe, dass man unter meinem Make-up nicht erkennen kann, wie rot ich bin: „Äh, ich suche den Saal B.23“
„Ich begleite dich dorthin.“
„Danke.“ Ich blicke ihn durch meine Wimpern kurz an.
„Wie heißt du?“
„Kari“
„Hm, süß!“
Süß???
Meint er damit dass ich ein niedliches naives Etwas bin? Oder ist es als Kompliment gedacht. Bin ich zu „süß“, als dass er mich als ebenbürtige Person wahrnimmt? Ich beschließe es gelassen zu nehmen, doch bevor ich auf seine Bemerkung reagieren kann, stellt er die nächste Frage: „Welches Fach hast du jetzt?“
Mein Gehirn braucht einen Moment zu lange um zu realisieren, dass er wohl eine Antwort erwartet „Mathe, mit Herrn Balduin.“
„Der ist echt relax.“ Er zwinkert mir zu.
Ich weiß nicht so recht was ich sagen soll: „Ah. O.K.“ Oh, Gott. Er hält mich bestimmt für bescheuert. Wieso kann ich nicht ganz normale Konversation mit einem gutaussehenden Jungen betreiben, ohne mich dabei zur kompletten Vollidioten zu machen?
Er bleibt stehen und zeigt auf eine Tür. Erst jetzt bemerke ich, dass wir uns vor dem Saal B.23 befinden.
Der Junge blickt mich aus seinen kristallblauen Augen an. Auch wenn ich sie durch seine schwarzen Strähnen nicht ganz deutlich erkennen kann, so merke ich doch wie intensiv dieses Blau ist.
Mir gefriert der Atem und ich schaffe es nur knapp: „Danke“, zu hauchen.
Seine Mundwinkel zucken nach oben: „Wir seh'n uns.“
Dann dreht er sich um und schlendert, mit den Händen in den Hosentaschen, davon. Erst als ich mich zur Tür drehe, fällt mir auf, dass ich ihn gar nicht nach seinem Namen gefragt habe.