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Elsa Hengel

FANTASIE

 


Nach einem anstrengenden Schultag stehe ich mit den anderen Schülern bei der Bushaltestelle. Alle sprechen miteinander, manche lachen, manche diskutieren heftig, andere reden über ihre Interessen. Normale Gespräche eben. Doch heute haben die Busse viel Verspätung. Die Konversationen verstummen irgendwann, jeder mummt sich in seine Jacken ein, denn es ist schweinekalt. Langweile breitet sich aus, alle sind müde und wollen nur noch nach Hause. Ich hingegen starre gebannt auf eine Ampel.
Das rote Licht verzaubert mich und erinnert mich an einen knallroten Vogel. Und wenn es ein Vogel ist? Plötzlich verschwindet das Rote aus der Ampel und fliegt durch die Luft. Ich hatte Recht! Voller Lebensfreude saust er durch die Luft und zeichnet Wolkenbilder in den Himmel. Lächelnd blicke ich nach oben. Manchmal formen die Wölkchen einen Baum, ein lachendes Gesicht oder ein Herz. Einmal erkenne ich sogar die Umrisse eines Tigers und bin von den Fähigkeiten des Vogels total begeistert.
Da beginnen die Wölkchen auf einmal zu sinken und verwandeln sich in kleine Käfer, welche mit Fallschirmen ausgerüstet sind, damit sie nicht auf den Boden klatschen. Ich höre ihr Zirpen und fühle ihre Freude, welche mich auch sofort aufheitert. Eines der Wesen, ein Marienkäfer, schmeißt seinen Fallschirm weg, da er ihn nicht benötigt, und schlägt lachend Saltos in der Luft. Sein Lachen klingt wie das eines kleinen Kindes, süß und herzerwärmend.
Plötzlich erblicke ich neben ihm drei weitere Marienkäfer, aber viel kleiner und mit großen Glubschaugen. Seine Babys! Mit ihren winzig kleinen Beinchen fuchteln sie glucksend in der Luft herum. Als unerwartet Seifenblasen in ihre Richtungen fliegen, finden sie Gefallen daran, sie mit einem lauten Knall platzen zu lassen; so laut, dass das Fensterglas der Häuser klirrend zerbricht. Eine alte Frau lehnt sich aus ihrem Haus heraus und beschwert sich lautstark darüber, doch als sie die glücklichen Marienkäfer erblickt, verschwindet der Ärger augenblicklich aus ihrem Antlitz. Sie greift in ihre Tasche und holt buntes Konfetti heraus, welches sie in der Luft verstreut.
Höchst amüsiert schmücken die Marienkäfer damit die kleinen Seifenblasen, die nun wie bunte Ballons durch die Stadt segeln und gute Laune verbreiten. Als die Käfer auch noch ein freudiges Lied anstimmen, tippe ich den Rhythmus sanft mit meinem rechten Fuß mit. Sogar ein Feuerwerk zaubern die kleinen Wesen herbei und lassen den Himmel hell aufleuchten.
Nach einem anstrengenden Schultag stehe ich mit den anderen Schülern bei der Bushaltestelle. Die Konversationen verstummen irgendwann, jeder mummt sich in seine Jacken ein, denn es ist schweinekalt. Langweile breitet sich aus, alle sind müde und wollen nur noch nach Hause. Ich hingegen starre gebannt auf eine Ampel, tippe mit meinem rechten Fuß rhythmisch auf den Boden und habe ein breites Grinsen im Gesicht. Die anderen sehen wirklich nur die Ampel, doch ich sehe dank der Fantasie die glücklichen Marienkäfer umherfliegen und lachen.




Envoyé: 23:36 Sun, 5 April 2015 par: Elsa Hengel