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Fetz-Gudendorf Rachel

Denn ich werde nicht schweigen...

Denn ich werde nicht schweigen...

 

,,Nein, diese Romanschriftsteller! Statt etwas Nützliches, Angenehmes, Erfreuliches zu schreiben, graben sie allerlei Geheimnisse aus der Verborgenheit aus!... Ich würde ihnen geradezu verbieten zu schreiben! Was hat man davon: Man liest und versinkt unwillkürlich in Gedanken, und dann kommt einem aller mögliche Unsinn in den Kopf! Wirklich ich würde ihnen verbieten; einfach ganz und gar verbieten würde ich es ihnen.“

Fürst W. F. Odojewski

 

Ich schreibe diese Zeilen, weil ich eine Geschichte erzählen möchte.

Es ist eine Erzählung über Krieg und Frieden. Über das Hoffen, das Richtige zu tun und trotzdem immer einen Fehltritt zu begehen.

 Aber vor allem handelt sie über das Leben eines jungen Mannes und seiner Familie.

Dies ist ihre Geschichte.

 

Reinhard Laydmer ist allenfalls ein trivialer Jugendlicher. Abiturient des Diekircher Gymnasiums. Liebhaber der Natur und der Bücher.

Doch die Umstände, unter den er zu Leben vermag sind alles andere als normal.

Denn wir schreiben das Jahr 1944 und Hitler ist im Inbegriff den Krieg zu verlieren.

Wie sein Bruder wird Reinhard in den letzten Kriegsmonaten von der deutschen Wehrmacht eingezogen. Er sieht den Krieg in seiner grausamsten Art und Weise: Ausgebombte Familien in Berlin, die alles verloren haben; die Flugzeuge über Hamburg- und trotzdem schreien die Soldaten seines Bataillons weiter ,,Heil Hitler!“. Bis in den Tod.

All diese Erlebnisse schreibt er in sein geheimes Tagebuch auf. Die Nazis konnten ihm und seiner Familie wohl vieles nehmen- nicht aber die Möglichkeit des Denkens. Es bewahrt ihn vor dem Verrücktwerden und der Einsamkeit.

Aber nach der mörderischen Kesselschlacht von Halbe sind seine mentalen Reserven schlussendlich aufgebraucht. Sein Bataillon ist aufgerieben, mehr als die Hälfte tot oder in Gefangenschaft.

Schließlich nimmt er einen schwerwiegenden Entschluss, der ihm das Leben kosten könnte...

 

Jahrzehnte später macht Reinhards Enkel Ron die Bekanntschaft mit der Schülerin Ronja. Beide recherchieren durch Zufall über die Geschichte des gleichen Mannes: Reinhard Laydmer, eingezogen 1944.

Über ein Jahr arbeiten beide zusammen, werten Daten aus und versuchen die Geschichte des zwangsrekrutierten Luxemburgers zu verstehen. Sie beschließen ihre Erkenntnisse für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Als der Bericht ediert werden soll, geben die Nachfahren Reinhards nicht ihre -aus rechtlichen Gründen nötige- Zustimmung.

Und als die Ereignisse sich überschlagen, kommt ein bisher unbekanntes Detail zum Vorschein... Wer war Reinhard Laydmer wirklich?

 

Wichtig ist anklingen zu lassen, dass die Geschichte des Reinhard Laydmers auf wahren Gegebenheiten basiert. Aus verschiedenen Gründen wurden trotzdem einige Tatsachen verändert und Personen hinzuerfunden.

Dieser Umstand sollte den Leser nicht zu Zweifeln an der Wahrhaftigkeit dieses Textstückes veranlassen, im Gegenteil: Manchmal dient ein Roman gleichermaßen zur Verhüllung und Darstellung.

Die Frage, die dem Leser bewusst vermittelt werden soll, bleibt die Gleiche: Welchen Einfluss hat der 2. Weltkrieg auf unsere Gesellschaft heute? Sollte man die Geschichte Historiografie sein lassen?

Als dieses Projekt seinen Anfang nahm, war mein Vorhaben eine Biographie über den wahrhaftigen Reinhard Laydmer zu schreiben. Doch im Laufe meiner Recherche perzipierte ich, dass die ehemaligen Kriegsschauplätze nur Namen auf Schildern und Karten sind. Und sie werden es auch bleiben, wenn wir nicht aufhören uns an vermeintliche Fakten zu klammern. Diese genauen Daten werden später vielleicht von gelangweilten Jugendlichen wie die Schlachten um Karthago auswendig gelernt um eine entsprechende Note in einer Klassenarbeit zu erhalten.

Aber reicht es nur Daten auswendig zu lernen? Können wir dann glauben, dass wir die Geschichte verstanden haben?

Wir müssen anfangen die Geschichte mit dem Herzen zu begreifen. Es ist nicht zu verleugnen, dass dieses Vorhaben schwer ist. Während dieser Recherche habe ich dies am eigenen Leib erfahren: Die Allerwenigsten- gleichwertig ob hier in Luxemburg, Polen, Deutschland oder anderswo- wollen wirklich hinter die Fakten blicken.

Denn eine Tatsache ist determiniert. Doch dahinter befindet sich eine Grauzone, vielfältige marginale und kabbalistische Thematiken beinhaltend, die den Menschen in einen Hinterhalt zwingen.

 

Viele der Zeitzeugen weilen nicht mehr unter uns oder haben nur noch wenige Jahre um ihre Geschichte zu erzählen. So wie Daten in der Historiografie aufgeschrieben werden, verlangen auch die persönlichen Geschichten nach einer Niederschreibung in Form eines Buches- gegen das Vergessen.

Oftmals vergessen wir, dass Bücher unsere Essenz sind. Es gibt Individuen, die diese Wichtigkeit leugnen: Bücher heilen schließlich keine Krankheiten, verhelfen Menschen nicht zu Nahrung oder Arbeit. Es ist wahr-der Mensch benötigt keine Kultur zum Leben.

Ebenso wahr ist aber auch, dass der Mensch zwar durch Nahrung und Arbeit überleben kann, doch verliert er jegliche Menschlichkeit.

 

Aus diesem Grund ist eine Veröffentlichung des Manuskripts signifikant: Reinhard Laydmers Geschichte soll nicht in der Versenkung verschwinden. Seine Erlebnisse gleichen dem Prototyp der luxemburgischen Zwangsrekrutierten und doch sind sie exorbitant und inkommensurabel.

Wie kann man weiterleben, wenn man die Hölle gesehen hat?

Noch heute ist diese Auseinandersetzung von erschwinglicher Bedeutung. Denn wie hätten wir unter den Repressalien eines totalitären Regimes reagiert? Der Mensch ist ein Egozentriker: Zuerst denkt er an sich selbst, dann an das nähere Umfeld, zum Schluss, an sie, die Unbekannten, die anderen.

 

Auf dieser Reise habe ich diverse Menschen kennengelernt- Leute mit jenen ich lachen konnte und gestritten habe. Aber vor allem haben sie mich gelehrt, dass das Leben kurz ist. Und es ist vor allem ungerecht: Es gibt jene, die uns früh verlassen und jene, die sehr lange bleiben. Unser Weg besteht aus Entscheidungen: Ja oder Nein. Weitermachen oder aufgeben. Wieder aufstehen oder liegenbleiben. Vielleicht zählen die einen Entscheidungen mehr als andere: lieben oder hassen. Ein Held oder ein Lappen sein. Leben oder sterben. Standhalten oder die Augen senken.

 

Irgendwann kommen wir alle an eine Kreuzung, an der wir uns entscheiden müssen, welchen Weg wir einschlagen.

Ich habe mich für die Geschichte Reinhard Laydmers entschieden- und ich werde es immer wieder tun.

Denn ich werde nicht schweigen...

 


 




Envoyé: 23:04 Thu, 7 October 2021 par: Fetz-Gudendorf Rachel